Ehrenamtliche führen und Partizipation ermöglichen
1. Führen von Ehrenamtlichen und Freiwilligen
Kann und darf man Ehrenamtliche und Freiwillige überhaupt führen? Fragt man Menschen, die in der Feuerwehr oder dem Rettungsdienst arbeiten, sagen diese selbstverständlich ja – hier geht es nicht ohne Führung. Im sozialen und kirchlichen Bereich oder auch in der Jugendarbeit ist Begriff “Führen von Ehrenamtlichen” mit zwiespältigen Gefühlen vermischt. Assoziiert man dort, wo das Engagement stärker auf Selbstentfaltung ausgelegt ist, mit dem Begriff “Führen”, eine Manipulation und Gleichschaltung.
Schauen wir uns doch zunächst einmal den Begriff “Führung von Ehrenamtlichen” genauer an.
Was versteht man unter Führung von Ehrenamtlichen und Freiwilligen?
Um überhaupt führen zu können, braucht man jemanden, der die Rolle der Führungskraft übernimmt und ein Gegenüber, der bzw. die diese Führungsrolle akzeptiert. Schaut man sich den Begriff der “Führung” genauer an, kann man sehr viele einzelne Aufgaben darin erkennen. Ein paar dieser Aufgaben schauen wir uns im Weiteren genauer an. Andere (Feedback geben, Einarbeiten…, Motive kultivieren, Konflikte lösen…) werden in anderen Lernmodulen der beratergruppe ehrenamt beleuchtet.
Man kann erkennen, dass Führung weniger mit Vorschreiben und Kontrollieren zu tun hat, als vielmehr mit Begleiten, Fördern und Weiterentwickeln. Also klassische Personalentwicklung.
Transferfrage: Zeit max. 15 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Welche Personen übernehmen in Ihrer Organisation die Führungsrolle gegenüber Ehrenamtlichen? Und welche der oben genannten Aufgaben werden von diesen „Führungskräften“ wahrgenommen und welche nicht? |
2. Aufgaben planen und übergeben
Besonderes Augenmerk wollen wir nun auf den Aspekt “Aufgaben planen und übergeben” richten. Um diese Situation der Beauftragung von Ehrenamtlichen besser zu verstehen, kann uns ein Modell über “Situatives Führen” (1) helfen. Dieses Modell, das ursprünglich für klassische Vorgesetzten – Mitarbeiterverhältnisse im Hauptamt entwickelt wurde, haben wir für das Ehrenamt leicht abgeändert. Eine zentrale Erkenntnis dieses Modells ist, dass es unterschiedliche “Stile” der Aufgaben- und Verantwortungsübergabe (Beauftragung) gibt, die sich hauptsächlich dadurch unterscheiden, wie viele Freiheitsgrade bzw. Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume demjenigen / derjenigen zugestanden wird, der die Aufgabe oder den Verantwortungsbereich übernimmt. Oder anders gesagt:
Welche inhaltlichen Vorgaben seitens des/der Auftraggebers/in gibt es, an die ich mich als Ehrenamtliche*r (Auftragnehmer*in) bei der Umsetzung halten sollte.
Das Modell zum Situativen Führen
Das Modell beschreibt vier verschiedene Führungsstile, die man wählen kann, um jemanden mit einer Aufgabe zu betrauen (Beauftragung).
Klicken Sie in unten stehende Grafik, um mehr über die einzelnen Führungsstile zu erfahren. Hier können Sie sich das Original-Modell von Hersey/Blanchard ansehen.
zum zoomen, Mauszeiger über Grafik bewegen!
Situatives Führen gibts auch bei den Bienen!
Und hier noch ein wunderschönes Beispiel für die 4 Führungsstile aus der Tierwelt. Das hat ein befreundeter Karikaturist für die beratergruppe ehrenamt gezeichnet. Sie können sich den Cartoon gerne hier herunterladen.
Die vier Stile unterscheiden sich also durch den Grad, wie weit es Vorgaben des Auftraggebers gibt und welcher inhaltliche Gestaltungsspielraum für den / die Auftragnehmer*in dann noch bleibt bzw. auch von ihr erwartet wird. Die Parabel im Modell soll die fließenden Übergänge zwischen den 4 Stilen verbildlichen. Das Vorgaben / Freiräume – Verhältnis verändert sich also von 0:100 (beim äußersten initiieren) bis auf 100:0 (beim äußersten instruieren) fließend und es durchläuft dabei alle 4 Führungsstile. Nachfolgende Grafik zeigt dies noch einmal ganz deutlich.
Je nachdem, wo Sie den Schieber hinschieben, werden die Freiheitsgrade in der Aufgabe größer oder kleiner. An der Entscheidung in jedem Stil “Nein” zu sagen und eine Aufgabe nicht anzunehmen, ändert sich nichts!
3. Die Beauftragung konkret: “Der Ton macht die Musik”
Wie schaffe ich es, den Führungsstil, der mir vorschwebt, auch so gut rüberzubringen, dass mein Gegenüber ihn auch erkennt. Also wenn ich eine klare Vorstellung vom Endergebnis habe, das auch so zu formulieren, dass es ‘instruierend’ und nicht ‘imitierend’ rüberkommt.
Hören Sie sich die einzelnen Beispiele an und überlegen Sie, welcher der 4 Führungsstile hat der Sprecher im Sinn?
4 kurze Übungen
Wir wollen Paul dafür gewinnen, den Flyer für eine Veranstaltung neu zu machen. Schätzen Sie ein, in welchem Führungsstil die Ansprache an Paul adressiert ist.
Ansprache 1
Quiz – Führungsstil 1
Ansprache 2
Quiz – Führungsstil 2
Ansprache 3
Quiz – Führungsstil 3
Ansprache 4
Quiz – Führungsstil 4
Transferfrage: Zeit max. 45 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Überlegen Sie, welche Formulierungen oder auch welche Schlüsselbegriffe in einer Ansprache hilfreich sind, um deutlich zu machen, ob Sie die Aufgabe nun initiierend, partizipierend, argumentierend oder instruierend übergeben wollen? Formulieren Sie selbst jeweils für alle 4 Führungsstile Sätze mit den jeweiligen Schlüsselbegriffen für folgende Situation: Sie sprechen 3 Ehrenamtliche an, die den Stand für den Weihnachtsmarkt aufbauen sollen. Schreiben Sie bitte alle Ihre Überlegungen in Ihr Arbeitsblatt.” |
4. Führen ohne Macht? – Reflexion des eigenen Führungsverhaltens
Da Engagierten nicht existentiell von Ihrem Ehrenamt abhängig sind und es auch keine vertragliche Bindung gibt, kann man Ehrenamtliche nicht unter Druck setzen oder zwingen eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen. Bei Ehrenamtlichen muss man sich einfach etwas anderes einfallen lassen.
Wie funktioniert nun dieser “soziale Beeinflussungs- und Überzeugungsprozess”, wenn man keine hierarchische Macht hat? Schauen wir uns doch an, wie andere < Typen > es schaffen, Wirkung und Einfluss auf Menschen zu haben und sie für ihre Sache zu gewinnen. Jeder von uns wird das eigene Verhalten bei einem oder mehreren dieser Typen wiederentdecken. Wir benutzen diese Typen also unbewusst in unserem Alltag schon als “Verhaltensvorbilder”.
Man kann das als Manipulation bezeichnen, als Taktik, Einflussnahme oder als Gewinnung für eine gute Sache. In jedem Fall würde nichts funktionieren, wenn wir nicht tagtäglich mit unserer ganz eigenen Art Menschen bewegen könnten, etwas für uns zu tun.
Transferfrage: Zeit ca. 20 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Schauen Sie sich die 12 Typen und ihre Einflussmacht genau an und überlegen Sie, welche Sie zurzeit am stärksten nutzen. Sie können sich auch überlegen, welche Typen Ihnen zusagen und welche Typen eher wenig Chance haben. |
5. Partizpation ermöglichen
Fragt man Ehrenamtliche, welche Erwartungen sie an die Hauptberuflichen in ihrer Organisation haben, antworten viele, dass sie nicht Handlanger und Lückenbüßer sein wollen, sondern ernst genommen und gefragt werden wollen und auch aktiv mitgestalten, mitsprechen oder auch mitentscheiden wollen. Auf der anderen Seite klagen auch häufig Organisationen, dass ein Großteil ihrer Ehrenamtlichen keine Verantwortung übernehmen will, auch wenn die Einladung zur Mitsprache und Mitbestimmung da ist. Zu einem partizipativen Miteinander gehören also zwei Parteien. Eine, die Mitbestimmung zulässt und eine, die auch mitbestimmen will und Verantwortung übernimmt.
Nachfolgendes Modell zeigt in 7 Stufen unterschiedliche Grade der Partizipation, wobei nur 3 Stufen tatsächlich als rein partizipativ gelten.
Sie können hier das Partizipationsmodell als PowerPoint Datei herunterladen.
Es gibt eine Vielzahl von Situationen, auf die man dieses Stufenmodell anwenden kann. Immer wenn Entscheidungen in einer Organisation getroffen werden, ließe sich der Grad der Beteiligung von Ehrenamtlichen daran anhand des Modells bestimmen. Diese Situationen könnten sein:
Es wird entschieden,…
- wie sich die Organisation strategisch ausgerichtet und welche Vision sie hat
- welche kurz- und langfristigen Ziele verfolgt werden
- welche Ziele priorisiert verfolgt werden
- wie Projekte und Aufgaben inhaltlich ausgestaltet werden
- wer auf Räume, Geld, Technik und andere Ressourcen zugreifen darf
- was neu beschafft, also welche Materialien und Technik eingekauft wird
- wer welche Projekte oder Gruppen leitet
- wer für welche Aufgaben verantwortlich ist
- wer Zugriff auf welche Informationen hat
- welche Ideen und Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden
- wie Gelder in der Organisation verteilt werden
- was mit überschüssigen Geldern passiert
- wer entscheidet, wer auf eine Schulung darf
- wer eine Aufwandsentschädigung bekommt
- …
Transferfrage: Zeit max. 20 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Überlegen Sie, in welchen Bereichen (oder Situationen s.o.) die Ehrenamtlichen in Ihrer Organisation den stärksten Grad der Mitbestimmung haben und in welchen Bereichen (oder Situationen s.o.) der Partizipationsgrad höher sein sollte. |
6. Selbstorganisiertes Engagement ermöglichen und fördern
Wie man im vorherigen Kapitel sehen konnte, ist die Selbstorganisation bzw. die Selbstverwaltung die höchste Stufe im Partizipationsmodell. Sie zählt per Definition gar nicht mehr als Form der Partizipation, weil Hauptamtliche, also Vertreter der Kernorganisation, kaum mehr eine Rolle spielen. Will man selbstorganisiertes Engagement in seiner Organisation ermöglichen und fördern, braucht man Ehrenamtliche mit einer hohen Eigenmotivation, hoher Eigenverantwortung und sogar einer eigenen Projektidee. Sie müssen agieren wie Selbstständige, die ihr eigenes Projekt wie ein kleines Unternehmen bei Ihnen aufbauen. Diese, nennen wir sie mal ‘Projektinitiator*innen”, für sich und seine Organisation zu gewinnen ist herausfordernd und muss gut überlegt sein, denn mit der Eigenverantwortung geht oft ein gewisser Eigensinn einher. D.h. Projektinitiator*innen werden ihr Ding machen wollen und sich von außen wenig sagen lassen. Wer das nicht will, sollte dabei bleiben und nur Engagements für Aufgaben anbieten, die klar abgesteckt und definiert sind. Wer sehen möchte, was es genau bedeutet, keine konkreten Aufgaben anzubieten, sondern selbstorganisierte Projekte, sollte sich das nachfolgende Bild und die Audio-Datei anschauen.
Das sogenannte F.R.E.I. Modell hilft dabei, sich auf die Gewinnung und die Kooperation mit Projektinitiator*innen gut vorzubereiten.
F.R.E.I. Modell
Aktion: Zeit ca. 45 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Entwickeln Sie für Ihre Organisation ein “Mini-Konzept” mit Hilfe des F.R.E.I. Modells für folgende möglich Situationen: Sie bekommen einen Anruf von einer jungen Mutter, die bei Ihnen eine Krabbelgruppe gründen möchte, da es im weiten Umkreis keine gibt. Starten Sie unter den F(ormat), das ja durch den eigeninitiierten Anruf schon vorgegeben ist, mit der Überlegung, in welcher Form Sie mit der Initiatorin zusammenarbeiten wollen. Als Namensgeber, Unterstützer, Sponsor, etc. Schreiben Sie dann Ihre Überlegungen zu den jeweils anderen Punkten des F.R.E.I. Modells auf. Falls Ihnen die “Krabbelgruppe” als Beispiel nicht passend erscheint, können Sie sich auch überlegen, wie sie mit Projektinitator*innen nach dem F.R.E.I. Modell kooperieren würden, für das Thema Nachhaltigkeit, Vereinsamung, Bildung, Integration oder ein anderes großes gesellschaftliches Thema. Schreiben Sie bitte Ihre Ergebnisse in Ihr Arbeitsblatt. |
7. Kooperation zwischen Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen gestalten
Das Zusammenspiel und das Verhältnis von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen ist in den Organisationen oft nicht klar geregelt. Ausnahmen sind hier Vereine, deren hauptamtliche Mitarbeiter*innen i. d. R. ehrenamtliche Vorgesetzte (Vorstand, Präsidium o.ä.). In vielen anderen Fällen ist dieses Verhältnis unklarer. So wissen Ehrenamtliche oft nicht, ob die Hauptamtlichen sie als Kolleg*innen, Partner*innen, Mitarbeiter*innen oder nur als Gäste betrachten. Und auch für die Hauptberuflichen ist es nicht einfach, ihre Rolle und ihr Verhältnis gegenüber den Ehrenamtlichen zu definieren. Hinter dem eigenen Bild von sich und dem Bild des anderen stecken oft unbewusste Grundannahmen und Werte, über die selten offen gesprochen werden, die das Verhältnis und auch das Führungsverständnis maßgeblich beeinflussen.
Nachfolgende Darstellung zeigt verschiedene idealtypische Kooperations-Modelle auf. In der Realität kann dies durchaus viel komplexer sein. So können Ehrenamtliche aufgrund der vorherrschenden Organisationskultur sich und die Hauptberuflichen dem Familien-Modell zuordnen, die Hauptberuflichen lehnen das ab und agieren und kommunizieren eher über das Mitarbeiter-Modell. D.h. es kann sein, dass die Zuschreibung des eigenen Rollenverständnisses nicht mit dem Rollenverständnis übereinstimmt, das andere mir zuschreiben. Hier sind Konflikte und Missverständnisse vorprogrammiert!
KLICKEN Sie in der Slide Show unten auf eine Seite und Sie erfahren mehr über das jeweilige Modell.
Die PowerPoint Präsentation zum Kooperationsmodell können Sie sich hier herunterladen.
Aktion: Zeit ca. 45 Minuten >>Arbeitsblatt |
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Überlegen Sie aus der Perspektive von Ehrenamtlichen für jedes der 7 Kooperationsmodelle, welche Erwartungen und welche Befürchtungen Sie beim jeweiligen Modell an die Hauptamtlichen haben. Schreiben Sie Ihre Überlegungen in das Arbeitsblatt. |
Literatur und Links
(1) P. Hersey, K. Blanchard: Management of Organizational Behavior. 4. Auflage. New York 1982. |
Wehner, Theo; Güntert, Stefan M. (Hrsg.): Psychologie der Freiwilligenarbeit. Motivation, Gestaltung und Organisation. Springer Verlag Berlin Heidelberg, 2015. |
Redmann, Britta: Erfolgreich führen im Ehrenamt: Ein Praxisleitfaden für freiwillig engagierte Menschen. Springer Gabler Verlage, 2014 |